Konturierung und Verwischung sprachlicher Humandifferenzierung. Ruander oder Burunder?

Teilprojekt B02 des Sonderforschungsbereich 1482 „Humandifferenzierung“

In der Zeit kolonialer staatlicher Grenzziehungen wurden zwei eng verwandte Sprachen aus Ruanda und Burundi, Kinyarwanda und Kirundi, zu zwei separaten sprachlichen Systemen stilisiert. Rezente Migration von Menschen aus Ruanda und Burundi ins benachbarte Uganda zeigt jedoch, wie ambigue Sprachgrenzen tatsächlich sind: Sie werden häufig von Sprecher:innen nach ihren Bedürfnissen akzentuiert oder nivelliert, um Nationalitäten, biografische Hintergründe und andere Zugehörigkeiten hervorzuheben oder zu kaschieren. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich aus ihrer Lebensrealität in Uganda – Wie wird man zugehörig? Wie wird man anerkannt? Wie kann man sich von Stigmatisierung im Alltag befreien?

Das Forschungsprojekt soll untersuchen, wie Kinyarwanda/Kirundi-Sprecher:innen in Uganda sprachlich Zugehörigkeit(en) markieren. Wie positionieren sich Sprecher:innen und wie werden sie von anderen wahrgenommen und kategorisiert? Wie manifestieren sich Zugehörigkeiten und Differenzierungen von Menschen auf sprachlicher und metasprachlicher Ebene? In welchen Situationen wird die Kategorisierung von Individuen relevant und wie wird sprachlich darauf reagiert?

Das Forschungsprojekt geht dabei von einem fluiden Verständnis von Sprachen und Sprachpraktiken aus und soll untersuchen, wie historisch manifestierte Ordnungsprozesse von Menschen und Sprachen den realen Sprachpraktiken und selbstverorteten Zugehörigkeiten von Sprecher:innen ent- oder widersprechen und wie diese verhandelt werden. Es basiert auf ethnografischer Feldforschung insbesondere in Zentraluganda.

Publikationen:

Nassenstein, Nico. 2021. Translinguale Praktiken als Strategien der Entdifferenzierung: Afrikanistische Perspektiven auf sprachliche Hybridität. In Dizdar, Dilek, Stefan Hirschauer, Johannes Paulmann & Gabriele Schabacher (eds.), Humandifferenzierung: Disziplinäre Perspektiven und empirische Sondierungen, pp. 160-182. Weilerswist: Velbrück.

Nassenstein, Nico. 2020. Pragmatics in Bakuli: A linguistic ethnographer’s notes from the neighborhood. Journal of Postcolonial Linguistics 2: 108-127.

Nassenstein, Nico. 2019. Kinyarwanda and Kirundi: On colonial divisions, discourses of national belonging, and language boundaries. Modern Africa: Politics, History and Society 7,1: 11-40.

Downtown Kampala, Uganda. Quelle: Deborah Wockelmann