Eine Sammlung im Entstehen: Das Leo-Stappers-Archiv

Abb. 1: Porträt des jungen Stappers (Lempertz, Brüssel; Familienbestand der Familie Stappers)

Das Leo-Stappers-Archiv (LSA) bietet Einblicke in die Forschungsbibliothek des am Institut für Ethnologie und Afrikastudien ehemals beschäftigten Professors für Afrikanische Philologie Leo Stappers (*6. Juni 1919 – †18. April 1977).

Leonardus Johannes Stappers, C.I.C.M., wurde am 6. Juni 1919 in Blerick (Niederlande) geboren. Nach einigen Jahren im Priesterseminar wurde er 1943 Priester im Orden der so genannten "Scheutisten" (Congregatio Immaculati Cordis Mariae). Schon früh zeigte er Interesse an afrikanischen Sprachen und erwarb nach einem zweijährigen Studium an der School of Oriental and African Studies in London einen Abschluss in Bantuistik. Als Missionar war er von 1948-1951 Schulleiter einer Grundschule in Ngongo (Kasaï/Belgisch-Kongo), und von 1951-1957 Lehrer am Jan Berchmans College in Kamponde. Nach seiner Rückkehr nach Europa wurde er 1964 an der KU Leuven mit einer Arbeit zur Bantusprache Songye promoviert, und folgte sodann einem Ruf nach Kinshasa (1964-1971) und Lubumbashi (1971-1974), wo er an beiden Universitäten als Professor lehrte und forschte. 1974 erhielt er einen Ruf an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und wurde erster Professor für Afrikanische Philologie (heute Afrikanistik); eine Stellung, die er bis zu seinem Tod 1977 innehatte.

Die Sammlung umfasst eine Vielzahl veröffentlichter sowie unveröffentlichter Arbeiten, begonnener Skizzen und Manuskripte von Stappers, Abschlussarbeiten einiger seiner Studierenden, sowie unterschiedliche Sammlungen afrikanischer Literatur, die er auf seinen Reisen festgehalten oder von Mitbrüdern erhalten und aufbewahrt hat. Darunter befinden sich wichtige dokumentatorische Arbeiten des belgischen Missionars Camille François Van Ronslé (*18. September 1862 – †14. November 1938). Viele dieser Quellen sind lediglich in der vorliegenden Form erhalten und nicht an anderen Bibliotheksstandorten (weltweit) verfügbar.

Stappers Arbeiten widmen sich vor allem den Bantusprachen der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaïre). Von besonderem Umfang sind dabei die teils einzigartigen und unveröffentlichten Werke Stappers zu den Bantusprachen der Luba-Gruppe (L30), darunter Cilubà (Luba-Kasaayi) sowie weitere nah verwandte Sprachen. Unter diesen befinden sich u.a. handschriftliche Vorarbeiten für eine geplante Luba-Grammatik und mehrere hundert unveröffentlichte Luba-Texte. Seine dokumentatorischen Arbeiten zu bisher kaum oder nicht beschriebenen Sprachen sind als von besonderem Wert für die Bantuistik einzuschätzen.

Neben den Arbeiten Stappers werden auch die Abschlussarbeiten seiner Absolvent:innnen der Universitäten Kinshasa und Lubumbashi im Archiv aufbewahrt. Hierbei handelt es sich um seltene grammatische Beschreibungen verschiedenster kongolesischer Sprachen, die, soweit bekannt, bisher unveröffentlicht blieben und so einzigartige Einblicke in zahlreiche vollkommen undokumentierte Varietäten liefern.

Den womöglich wichtigsten Teil der Sammlung jedoch bilden die unveröffentlichten, handschriftlichen Manuskripte des belgischen Missionars Van Ronslé, der sich Zeit seines langjährigen Aufenthalts im damaligen Belgisch-Kongo ausführlich mit der Dokumentation des Bobangi und einer im nordkongolesischen Iboko entstehenden Kontaktsprache befasste. Diese Arbeiten sind als einzigartig und von besonderem Wert einzustufen und konnten von der Universitätsbibliothek bereits unter Gutenberg Capture digitalisiert werden.

  1. Eléments de la grammaire de la langue Bobangi (1899) https://gutenberg-capture.ub.uni-mainz.de/autographen/content/titleinfo/817044
  2. Grammatica Ibokoensis (1891, Berghe St. Marie) https://gutenberg-capture.ub.uni-mainz.de/autographen/content/titleinfo/817309
  3. Vocabularium Ibokoensis (geschätztes Entstehungsjahr: 1891/92) https://gutenberg-capture.ub.uni-mainz.de/autographen/content/titleinfo/817540

Als ebenso wertvoll hervorzuheben ist folgendes Manuskript, welches anonym, jedoch vermutlich ebenso Van Ronslé zuzuordnen ist:

  1. Lokota lo Bobangi [Die Bobangi-Sprache] (anonym, kein Datum) https://gutenberg-capture.ub.uni-mainz.de/autographen/content/titleinfo/817153

Hierbei handelt es sich um für lange Zeit verschollene Werke, die für das Verständnis der Sprachgeschichte der DR Kongo und im Besonderen mit Bezug auf die Entwicklung der heute weit verbreiteten Kontaktsprache Lingala von großer Bedeutung und Wichtigkeit sind. Die bisher unter Verschluss gehaltenen Schriften zur Vorläufersprache des Lingala ermöglichen die Schließung einer bis dato bestehenden und eklatanten sprachhistorischen Forschungslücke.

Die Seltenheit und teilweise Einzigartigkeit der Bestände des Archivs fordert die linguistische, linguistisch-anthropologische und auch literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Werken und Manuskripten; vor allem, nachdem der ehemalige Mitarbeiter des Instituts Dr. Hans-Ingolf Weier die Sammlung über mehrere Jahrzehnte privat und für die Öffentlichkeit unzugänglich aufbewahrt hatte. Nach dessen Tod im Jahr 2020 ging die Sammlung sodann in den Besitz des Instituts (Stappers letzter Arbeitsstätte) über. Hier wurde der Wert der Sammlung durch Jun.-Prof. Nico Nassenstein und Dr. Anna-Maria Brandstetter schnell erkannt, die sich seither für die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Archivs aus der privaten Bibliothek, sowie für die sichere Aufbewahrung der alten und wertvollen Manuskripte einsetzen.

Abb. 2: Einblick in das LSA (Nico Nassenstein & Janika Kunzmann)

Gefördert durch die Sulzmann-Stiftung konnte bereits eine erste sechsmonatige Sichtung des Materials sowie eine Vorsortierung der Bestände durch die Doktorandin Janika Kunzmann M.A. erfolgen. Durch die Unterstützung des belgischen Kollegen Prof. Dr. Michael Meeuwis, der maßgeblich zum Fund der oben aufgeführten Manuskripte Van Ronslés beigetragen hat, konnte der Wert verschiedener Manuskripte ermittelt werden. Seine genauen sprach- und forschungshistorischen Kenntnisse der Region ermöglichten die Identifizierung verschiedener Texte und deren Kontextualisierung. In naher Zukunft sollen so weitere besonders schützenswerte Dokumente in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Mainz und dem Servicezentrum für Digitalisierung und Fotodokumentation (SDF) digitalisiert und so nicht nur präserviert, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit zugängig gemacht. Derzeit läuft die Sichtung und Auseinandersetzung mit den Luba-Beständen des Archivs durch die Expertin Dr. Mpunga wa Ilunga, einer ehemaligen Studierenden von Stappers in Lubumbashi und Gastprofessorin an der Université de Mbujimayi im Kasai (DR Kongo). Eine Vorsortierung und vorsorgliche erste Digitalisierung erfolgt hierbei derzeit durch Nico Nassenstein in Kommunikation mit der lubasprachigen Gemeinschaft in Brüssel, Belgien.