PAMRIK – Praxis, Affekt, Mitgliedschaft rechtsextremistischer Internetkommunikation

Soziale Medien gelten als „digitale Brandbeschleuniger“ oder „Motor des Rechtsextremismus“ (Fielitz und Marcks 2020) oder als „Radikalisierungsmaschinen“ (Ebner 2019). Insbesondere Memes werden als wirksame digitale Waffen im sogenannten „Infokrieg“ beschrieben, die User*innen schleichend radikalisieren und in rechtsextreme oder verschwörungstheoretische digitale Gemeinschaften initiieren. Rechtsextremen Netzaktivist*innen selbst sprechen von einer „führerlosen digitalen Gegenrevolution”, die einen Online-Kulturkampf gegen die politische Korrektheit und feministische Identitätspolitik führt und dabei verschiedene digitale Gemeinschaften mit Strategen der neuen Rechten verbindet (Nagle 2018: 19ff.). Was die Metaphern der „Radikalisierungsmaschine“ vergessen machen, ist dass es sich dabei nicht um technische oder automatisierte Prozesse handelt, sondern dass Menschen hinter den Bildschirmen sitzen, und dass auch Trolle oder bots am Ende menschliche Agenden haben und als komplexe Akteur*innen betrachtet werden sollten – die bisher aber nur selten ethnografisch untersucht wurden.

Screenshot der Telegramgruppe „Twitterreconquista“. Oft, wenn auch nicht immer, ist extrem rechte Praxis im digitalen Raum orchestriert.

Das ethnologische Teilvorhaben des BMBF-Verbundprojekts MISRIK entwickelt Konzepte zum Verständnis der graduellen Mitgliedschaft, der affektiv-emotionale Dimension und der Etablierung alternativer Wahrheitsbehauptungen von Netzaktivist*innen der Neuen Generation der Rechten in sozialen Medien. Wie ordnen sich Akteur*innen kollektiven Gemeinschaften („Patriot“, „Querdenker“, „Shitposter“, „Troll“) in digitalen Räumen ein und wird intern die Zugehörigkeit anerkannt? Wie erleben Akteur*innen die Kreation und Vermittlung von Memes und welche Emotionen wollen sie wecken, etwa Glücksgefühle beim viralen Erfolg oder bei Normbrüchen? Wie werden rechtsextreme Memes kreiert und dann geteilt und wie verbreiten Akteur*innen sie aus ihren kleinen Netzwerken in größere Gruppen in den sozialen Medien? Wie werden neue Wahrheitsbehauptungen etabliert und gesellschaftlich anschlussfähig gemacht?

Rechtsextreme Netzaktivist*innen nutzen bewusst Memes und Sprachspiele, die zwischen Humor und Politik changieren, um radikale und rechte Positionen zu verbreiten. Digitale Hasskulturen verbindet das gemeinschaftliche Erlebnis und Gefühl gemeinsam an einer größeren, widerständigen Bewegung teilzuhaben und vereint damit Trolle, Politaktivist*innen und rechtsextreme Influencer*innen nicht mittels einer explizit verhandelten Ideologie, sondern durch „leicht konsumierbare Erzählungen und Gemeinschaftshandeln (Fielitz und Marcks 2020: 178). Das Erfolgserlebnis, wenn ein Meme viral geht, oder wenn die „mainstream”-Medien auf die Trollereien reinfallen und es gelingt, sie zu empörten Reaktionen oder Faktenchecks zu provozieren, machen einen nicht unerheblichen Anteil des spielhaften Charakters jener Praxis und ihrer affektiv-emotionalen Dimension aus. Auch jenseits der „spielerischen“ Dimensionen teilen die Akteur*innen der neuen Generation das Gefühl von der Mehrheitsgesellschaft unterdrückt, missverstanden und an den Rand gedrängt zu werden. Um die affektiv-emotionalen Dimensionen rechtsextremer Internetkommunikation in den Blick zu nehmen, nimmt das ethnologische Teilvorhaben konsequent eine akteurs- und praxisorientierte Perspektive ein und setzt sich mit den emischen Reflektionen über Gemeinschaft, Satire und Spiel auseinander. Das Teilvorhaben knüpft damit an die im Gesamtvorhaben entwickelten Konzepte – Meme und Topoi, Ideen und Strategien – an, erweitert sie aber mit einer akteursorientierten Lesart.

 

Auto-ethnografische Akteur-Netzwerk-Karten oder Wie bin ich eigentlich hierher gekommen?

 

Methodisch nutzt PAMRIK Inspirationen der post-digitalen Ethnografie und der Vergemeinschaftungspraxis der Feldteilnehmer: voice channels auf discord und über mehrere Wochen sich erstreckende pn-Verläufe ersetzen narrative Interviews, ein autoethnografisches Schneeballprinzip macht die Idee des Radikalisierungspfads sichtbar, die schrittweise Intensivierung von Partizipationsmöglichkeiten im digitalen Raum gibt Einblicke in Vergemeinschaft, Zugehörigkeit und Abgrenzung. Klassische Formen der teilnehmenden Beobachtung etwa bei Straßenaktionen und die deren digitale Verdichtung ergänzen die teilnehmende Beobachtung in digitalen Räumen der neuen Rechten.

Im Ergebnis liefert PAMRIK dichte Beschreibungen der Praktiken und der Vorstellungen von Akteur*innen, die oft hinter ihren propagandistischen Taten und Internetbotschaften unsichtbar bleiben. Dieses Wissen wird im Transfer-Teil des Forschungsvorhabens im Rahmen von Lehrmodulen für die Polizeiausbildung, Fortbildungen insbesondere für die Kriminalpolizei und breiter Öffentlichkeitsarbeit vermittelt, um Polizeibeamt*innen bei konkreter Ermittlungsarbeit und Gefahreneinschätzung zu unterstützen und Bürger*innen für die Gefahren rechtsextremer memetischer Kriegsführung aufzuklären und zu sensibilisieren.

Digital-ethnografische Feldforschung unter Trollen und das Dilemma der teilnehmenden Beobachtung

Doing digital-ethnographic fieldwork, Dezember 2022.

Vor einigen Monaten erhielt ich eine pn von Arturo, einem der User in einem Online-Forum. Das Online-Forum war einer meiner Forschungsorte, in meiner Arbeit zu extrem rechter Internetkultur und dem sozialen Drumherum rechter Memes. Ich hatte mir dort nach einigen Wochen des „Lauerns“ einen Forschungsaccount gemacht, um meine Forschung transparent zu machen, um interagieren zu können, und mit Usern ins Gespräch zu kommen. Dazu unterhielt ich einen eigenen Thread und kontaktierte einzelne User, die sich dort interessiert, offen oder zumindest nicht ganz ablehnend gezeigt hatten per pm. Der Thread selbst landete zwar binnen weniger Posts im Subforum „Spam und Autismus“ aber ansonsten ging es ihm prächtig. Er entpuppte sich mit der Zeit als wertvolles Forschungsdokument zu Formen der Vergemeinschaftung und Abgrenzung, Umgang mit Neuzugängen, Anonymität, Misstrauen und Paranoia. Arturo war der erste, der mich kontaktierte.

Arturo: Die Leute im Thread werden vielleicht ein bisschen... antsy. Die warten sehnsüchtig auf deine Beiträge. Je nach Auslegung hat das jetzt entweder gut oder schlecht für dich geklungen haha. Aber mach dir keinen Kopp, die wolln nur spielen, hier bekommt so gut wie jeder erstmal den "Gauntlet"/Spießrutenlauf. Und das kann selbst dann noch passieren, wenn man länger dabei ist. Debattenkultur usw. Musst dir bloß die Schizo-Nazis im chat angucken…

„antsy“ als Beschreibung für das was im Thread passierte war – und das wusste offensichtlich auch Arturo – war ein Euphemismus. Spießrutenlauf, traf es eher. Aber was war überhaupt das „Spiel?“ Der Versuch mich mit Getrolle abzuschrecken, mein Anliegen lächerlich zu machen, mich persönlich lächerlich zu machen durch beleidigende, rassistische, extrem derbe Sprache, durch das Posten von Memes. Aber wie Arturo ganz richtig feststellte, bezog sich das nicht unbedingt auf mich persönlich. Im Umgang mit Fremden – das wissen wir in der Ethnologie spätestens seit Fredrik Barth – offenbart sich wie Gemeinschaft und Zugehörigkeit gedacht und gemacht, Grenzziehungsprozesse zwischen Insidern und Outsidern vollziehen sich durch den ebenso beiläufigen wie ostentativen Gebrauch kultureller Praktiken und Sprache, und besonders scharf verteidigt werden sie in Situationen der Ambivalenz und Uneindeutigkeit. In meinem Feld, schienen trolling, shitposting und andere „spielhafte“ Praktiken wichtige Momente der Vergemeinschaftung.

Als Ethnologin ist es mir ein Anliegen, die emischen Theoretisierungen meiner Forschungspartner ernstzunehmen. Und wenn die ihr Handeln als Spiel begreifen, dann entstehen daraus eine Reihe von Folgefragen für die Forschung: Was sind die spielhaften Aspekte rechter digitaler Internetkultur? Welche Funktion haben sie? Wie erwirbt man Mitspielkompetenz? Wie entstehen digitale Gemeinschaften und welche Rolle spielt die Fremdcharakterisierung als „Trollarmee“ für das Gemeinschaftsgefühl und die digitale Praxis der beteiligten Akteur*innen? Im Verlauf der Forschung habe ich versucht so nah wie möglich an diesem virtuellen socializing teilzunehmen, z.B. am shitposting im livechat, d.h. der derb-frotzelnden Binnenkommunikation, die Insider von Outsidern unterscheidet. Mit anderen Worten, ich habe versucht „mitspielen“, um die Regeln des Spiels zu begreifen. Im ethnologischen Methodenjargon: teilnehmende Beobachtung. Gleichzeitig war klar, die Beschaffenheit des Felds setzt dieser Form ethnologischen Lernens enge Grenzen…

 

Trollpraxis und Vergemeinschaftung im post-digitalen Aktivismus von rechts außen: Auszug aus dem Feldtagebuch, Oktober 2022:

Live-Streaming der BPE Kundgebung, Dortmund, November 2022, ©Konstanze N‘Guessan

Am Nachmittag, von 13 bis 18 Uhr bin ich auf dem Mauritiusplatz in Wiesbaden, wo heute die Kundgebung der Bürgerbewegung Pax Europa stattfindet. Ich spekuliere darauf, mit Irfan Peci in Kontakt zu kommen, oder vielleicht mit dem ein oder anderen seiner Follower. Zumal im Telegramkanal der Framing GmbH, einem rechten Meme-Kanal dazu aufgerufen wurde Irfan in Wiesbaden „300 Mann an die Seite [zu] stellen“. Das Kundgebungsgelände ist mit Demonstrationszäunen abgeriegelt. Hinten drin steht der Übertragungsbus von EWO live, die die Kundgebung auf Youtube streamen, davor ein Zelt und direkt hinter den Zäunen zahlreiche ausgedruckte Plakate auf Ständern, auf denen vor dem politischen Islam gewarnt wird. Der Islam sei eine Gefahr, Europa drohe die Islamisierung, und die werde nicht friedlich verlaufen, wenn die Muslime erstmal in der Mehrheit wären, dann sei es vorbei mit der Freiheit und dem Liberalismus, dann müssten wir uns alle beugen, dann fände eine „umgekehrte Integration“ statt, dann bekämen wir „Scharia und Handabhacken und Kopftuchzwang“. […] Das zentrale Narrativ der Kundgebung gleicht einem Widerstandepos: „Wir stehen allein auf weiter Flur, gegen Linke und Moslems, die mit Hilfe der Staatsmacht den gesunden Menschenverstand und die kritische Wahrheit unterdrücken“. „Wir sind hier für die Rechte von euch Frauen, wir kämpfen gegen Antisemitismus wir kämpfen für die Rechte von Homosexuellen, für die Freiheit, für die westliche liberale Demokratie.“ Stürzenberger – in Wiesbaden der Hauptredner – spricht von hinterm Absperrungszaun an eine Handvoll Zuschauer, aber vor allem an die Zuschauer im livestream: „Freunde, schreibt an die Staatsanwaltschaft, schaut die Videos, schon 90.000 Aufrufe, wir brauchen 100.000 views, teilt, liket, wir sind viele, wir sind stark, wir lassen uns das nicht gefallen!“ […]. Später am Abend, fahre ich zu Hause den Rechner hoch und sehe mir den aufgezeichneten Stream an. Verdichte meine Beobachtungen und Gespräche vor Ort mit den digitalen Interaktionen im Youtube-Livechat, und auf dem Discord-Server von „Alex“, mit dem ich mich auf der Kundgebung unterhalten habe. Er reist – wann immer es ihm möglich ist – als Unterstützer zu den Kundgebungen in Mitteldeutschland.

 

Screenshot Live-stream Wiesbaden – Digital-ethnografische Nachverdichtung von Feldforschung offline

 

Die Deutschlandtour der Bürgerbewegung Pax Europa selbst dient wohl vor allem dazu dem Internetpublikum vorzuführen wie "abgefuckt" es in allen deutschen Großstädten mittlerweile zugehe. Wiesbaden ist nur Kulisse. Während die ersten zwei Stunden offline eine Art müdes Dahingeplänkel sind, ändert sich die Stimmung deutlich, als am Nachmittag zunächst vereinzelt, und dann größere Gruppen empörter Muslime stehenbleibt und sich dem offen vorgetragenen Islamhass widersetzt, ins konfrontative Gespräch mit den Rednern geht, und so zum Teil der Kundgebungsaufführung wird.

Die Eskalation wird provoziert. Es ist nicht unangenehmer Nebeneffekt, sondern nachgerade das Ziel, Gruppen von jungen, aggressiv auftretenden migrantischen oder muslimischen Männern zu zeigen, die die Kundgebung stören wollen. Man produziert gewissermaßen die Drohkulisse, vor der man warnt: Horden marodierender Migranten. Im Grunde ist das was hier passiert die offline Entsprechung der rechten Trolle auf Sifftwitter. So lange pöbeln, bis dem Gegner der Geduldsfaden reißt, um dann in Opferpose zu sagen: Siehste! Dass die Kundgebungen Freitagsnachmittags stattfinden ist dabei ganz sicher nicht Zufall. Im Gegenteil, die Wahl von Zeit und Ort der Veranstaltung kalkuliert darauf – und das wird auch hoffen so kommuniziert von Stürzenberger, dass nach dem Ende des Freitagsgebets, gegen 15 Uhr, die „Kreuzzüge“ beginnen: „Dann kommen sie, ihr werdet sehen, da haben wir dann die Bereicherung“. Die Abschlussperformance der Kundgebung ist in diesem Sinne auch gezielt choreographiert als Provokation. Stürzenberger ruft alle mitgereisten Unterstützer und solche, die sich während der Kundgebung als Sympathisanten gezeigt haben hinter den Bauzaun, face-to-face mit der Gruppe junger Männer (und vereinzelter Frauen), die sich hier in den vergangenen zwei Stunden zunehmend in Rage haben bringen lassen. Sie haken einander unter. Und dann wird die Nationalhymne gespielt, sie singen, und freuen sich darüber, dass die Reaktion auf die Nationalhymne in dieser aufheizten Stimmung Buhrufe und Getümmel sind. Stürzenberger: „Leute, Wiesbaden, guckt euch das an, guckt sie euch an, das ist eure Stadt, ihr kennt die. Die hier sind nicht unsere Freunde, die haben nicht mitgesungen. Die haben gepfiffen und geschrien. Schaut es euch an Wiesbaden. Das ist es was uns blüht!“